Besprechung des Buches von Morgan Scott Peck: "Der wunderbare Weg"
Eine neue Psychologie der Liebe und des spirituellen
Wachstums[1]
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Die Bekanntheit von Scott Peck im deutschsprachigem Raum
beruht auf seiner großen Bedeutung für gemeinschaftsbildende
Arbeit. In seinem Buch "Gemeinschaftsbildung:
Der Weg zu authentischer Gemeinschaft" (Original 1988:
"The Different Drum: Community
Making and Peace") beschreibt Peck vier Entwicklungsphasen, durch
die jede Gruppe gehen muss, um arbeitsfähig zu werden: Pseudogemeinschaft, Chaos, Leere und Authentizität. Heute beziehen sich
viele sozialexperimentelle Lebensgemeinschaften auf seine Theorie der
Gemeinschaftsbildung. Diese Buchbesprechung dient dazu, einen Überblick über
die geistigen, psychologischen und spirituellen Überzeugungen von Scott Peck geben,
die seinen Vorstellungen zur Gemeinschaftsbildung zugrunde liegen.
Scott Peck wuchs in
einem nicht religiösen Elternhaus auf, hatte aber nach eigenen Aussagen stets
das Gefühl einer wohlwollenden Präsenz von Gott, ohne dass er "ihm oder
ihr" allzu viel Aufmerksamkeit schenkte. Als Heranwachsender und junger
Mann zogen ihn die Schriften fernöstlicher und nahöstlicher Mystiker an. Erst
später bekannte er sich zum christlichen Glauben und ließ sich taufen. Er
behielt jedoch seine Wertschätzung für die mystischen Strömungen im Buddhismus
und Hinduismus, im Judentum und im Islam. In das Buch "Der wunderbare
Weg" flossen neben seinen spirituellen Einsichten auch seine Erfahrungen
als Psychiater und Psychologe ein.
Im Teil I des Buches betont Peck die
außergewöhnliche Bedeutung von Disziplin für das spirituelle Wachstum. Disziplin beinhalte vier wesentliche
Fähigkeiten bzw. Bereitschaften:
- Aufschieben von Belohnung
- Annahme von Verantwortung
- Bindung an die Wahrheit oder Realität
- Ausgewogenheit
Zur Ausgewogenheit
heißt es wörtlich (S. 87): "Reife geistige Gesundheit erfordert (…) eine
außerordentliche Fähigkeit, immer neu ein empfindliches Gleichgewicht zwischen
miteinander in Konflikt stehende Bedürfnissen, Zielen, Pflichten,
Verantwortungen, Richtungen etc. herzustellen."
Zur Ausgewogenheit
gehört auch eine besondere innere Haltung Neuem und Unbekanntem gegenüber. Peck
bezeichnet sie als "Ausklammern". Wörtlich (S. 96): "Ausklammern
ist die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen dem Bedürfnis nach Stabilität
und Bestätigung des Selbst und dem Bedürfnis nach neuem Wissen und neuem
Verständnis, indem man zeitweilig das eigene Selbst aufgibt - es sozusagen
beiseite stellt, um Raum zu schaffen für die Aufnahme neuen Materials in das
Selbst." Ausklammern ist "das zeitweilige Aufgeben oder
Beiseitestellen der eigenen Vorurteile, Bezugsrahmen und Wünsche" (S. 165).
Es gilt, "das
Vertraute zum Schweigen (zu) bringen und das Fremde willkommen (zu) heißen.
Jedes Mal, wenn ich mich einem fremden Objekt, einer fremden Person oder einem
fremden Ereignis nähere, habe ich die Tendenz, das, was ich sehe, von meinen
gegenwärtigen Bedürfnissen, vergangenen Erfahrungen oder zukünftigen
Erwartungen bestimmen zu lassen. Wenn ich die Einzigartigkeit jeder Gegebenheit
zur Kenntnis nehmen will, muss ich mir meiner vorgefassten Meinungen und
typischen emotionalen Verzerrungen genügend bewusst sein, um sie lange genug
auszuklammern, Fremdes und Neues in meiner Wahrnehmungswelt willkommen zu
heißen. Diese Disziplin des Ausklammerns, Kompensierens oder
Zum-Schweigen-Bringens erfordert große Selbstkenntnis und mutige Ehrlichkeit.
Ohne diese Disziplin ist jedoch der gegenwärtige Augenblick nur die
Wiederholung von etwas bereits Gesehenem oder Erlebtem. Damit wirklich Neues
auftauchen kann, damit die einzigartige Gegenwart von Dingen, Personen oder
Ereignissen in mir Wurzeln fassen kann, muss ich eine Dezentralisierung des Ego
durchlaufen."
Im Teil II geht es um Liebe. "Die Liebe ist zu umfassend und tief, um jemals in Form
von Worten wirklich verstanden, gemessen oder eingegrenzt zu werden. Dennoch
lohnt sich der Versuch einer Annäherung auch dann, wenn er unzulänglich bleibt"
(S. 104).
Peck definiert Liebe
teleologisch "als den Willen, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene
spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren". Das
einzige wahre Ziel der Liebe sei spirituelles Wachstum oder menschliche
Entwicklung. Liebe und Selbstliebe sind dabei untrennbar: "Es ist unmöglich,
die eigene spirituelle Entwicklung zugunsten der eines anderen Menschen
aufzugeben" (S. 106).
Liebe ist laut Peck
anstrengend. "Überschreiten von Grenzen erfordert Anstrengung."
Unsere Liebe wird "nur sichtbar oder real durch das, was wir tun (…) Liebe
ist das, was Liebe tut. Liebe ist ein Willensakt – nämlich sowohl eine Absicht
als auch eine Handlung." Denn: "Wille ist ein Wunsch, der intensiv
genug ist, um in Handlung umgesetzt zu werden" (S. 107). Liebe liefert
nach Peck die Motivation und Energie für die Disziplin.
Peck grenzt die
reife Liebe energisch vom Zustand der Verliebtheit ab: "Sich zu verlieben,
ist kein Willensakt. Es ist keine bewusste Wahl" (S. 114). Im Zustand der
Verliebtheit fühlen wir uns "überhaupt nicht entwicklungsbedürftig; wir
sind vollkommen zufrieden da, wo wir sind. (…) Auch den Geliebten sehen wir
nicht als spiritueller Entwicklung bedürftig an" (S. 115). Der
"Mythos der romantischen Liebe" sei "eine entsetzliche
Lüge". Er führe zu "schrecklicher Verwirrung" und Leid.
"Millionen von Menschen verschwenden ungeheure Energie mit dem
verzweifelten und flüchtigen Versuch, die Wirklichkeit ihres Lebens in
Übereinstimmung mit der Unwirklichkeit des Mythos zu bringen" (S. 118).
"Desto mehr
lieben wir, desto mehr verschwimmt die Unterscheidung zwischen dem Selbst und
der Welt. Wir identifizieren uns mit der Welt." Während unsere Ichgrenzen durchlässiger
und dünner werden, erfahren wir mehr und mehr "jenes ekstatische
Gefühl", das dem Zusammenbrechen der Ichgrenzen in der Verliebtheit gleicht. "Nur sind wir
hier nicht vorübergehend und auf unrealistische Weise mit einem einzelnen,
geliebten Objekt verschmolzen, sondern realistischer und dauerhafter mit einem
großen Teil der Welt. Vielleicht entsteht eine 'mystische Vereinigung' mit der
ganzen Welt. (…) Es ist dies der Unterschied zwischen der Gipfelerfahrung,
charakterisiert durch die Verliebtheit, und dem, was Abraham Maslow als
'Plateauerfahrung' bezeichnet hat. Die Höhen werden nicht plötzlich erspäht und
dann wieder verloren; sie sind für immer erreicht" (S. 122).
Das Wort
"Liebe" wird so "allgemein und unspezifisch" verwendet,
dass "unser Verständnis der Liebe ernstlich beeinträchtig" wird.
"Solange wir aber weiterhin das Wort "Liebe" gebrauchen, um
unsere Beziehung zu allem zu beschreiben, was uns wichtig ist, was wir
besetzen, ohne Rücksicht auf die Qualität
dieser Beziehung, so lange werden wir Schwierigkeiten haben, zwischen
Weisheit und Narrheit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden." Ein
Beispiel sind "die vielen Frauen, die ihre Kinder nur als Babys 'lieben'
können. (…) Sobald das Kind seinen eigenen Willen zu behaupten beginnt (…) hört
die Liebe der Mutter auf. Sie verliert das Interesse an dem Kind, zieht ihre
Besetzung von ihm ab, nimmt es nur noch als lästig wahr" (S. 138-141).
"Liebe ist kein
Gefühl. Zahllose Menschen, die ein Gefühl von Liebe haben und als Reaktion auf
dieses Gefühl handeln, handeln auf alle möglichen lieblosen und destruktiven
Arten. Andererseits wird ein wirklich liebender Mensch oft hebend und
konstruktiv gegenüber einer Person handeln, die er oder sie bewusst nicht mag,
die er zu diesem Zeitpunkt nicht liebt und vielleicht sogar auf irgendeine
Weise abstoßend findet." Wirkliche Liebe "beinhaltet Verpflichtung
und das Üben von Weisheit. (…) Verpflichtung bedeutet, dass (der Therapeut dem
Patienten) zuhört, ob es ihm gefällt oder nicht. (…) Die allgemeine Tendenz,
Liebe mit einem Liebesgefühl zu verwechseln, gestattet den Menschen alle
möglichen Selbsttäuschungen." Dabei gilt: "Liebe ist, was Liebe tut."
Liebendes Bemühen und Erweiterung des Selbst erfolgen "gegen unsere
Trägheit oder gegen der Widerstand der Angst. (…) Liebe ist also eine Form von
Arbeit oder eine Form von Mut." Die Arbeit besteht hauptsächlich in
Aufmerksamkeit, die wir einem Menschen, den wir lieben, schenken. "Wir
kümmern uns um das Wachstum dieses Menschen. Wenn wir uns selbst lieben,
kümmern wir uns um unser eigenes Wachstum" (S. 150-155).
Ein wichtiger Akt
der Liebe ist für Peck das Zuhören. Wer den Willen und die Anstrengung auf sich
nehme, aufmerksam zuzuhören, liebe sich selbst, weil er bereit sei, an seinem
Wachstum zu arbeiten. Zum Zuhören gehöre wesentlich das bereits erwähnte
Ausklammern (das zeitweilige Aufgeben oder Beiseitestellen der eigenen
Vorurteile, Bezugsrahmen und Wünsche), "damit man die Welt des Sprechers
so weit wie möglich von innen her erleben kann, sozusagen in seine Haut
schlüpft. Diese Vereinigung von Sprecher und Zuhörer ist tatsächlich eine
Ausdehnung und Erweiterung unserer selbst und bringt immer neue Erkenntnisse."
Ausklammern erlaubt "vorübergehend auch ein totales Akzeptieren des
anderen" (156-165).
Je mehr man liebt,
desto bescheidener wird man in den Augen von Peck. "Je bescheidener man
aber ist, desto mehr scheut man vor der potenziellen Arroganz der Machtausübung
zurück. (…) Wer bin ich, Gott zu spielen?" Zu versuchen, "den Lauf
der Welt, der Menschheit zu beeinflussen"? Die Liebe zwinge uns, "Gott
zu spielen – im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass wir eben das tun. Mit
diesem Bewusstsein nimmt der liebende Mensch die Verantwortung für den Versuch
auf sich, Gott zu spielen, und zwar nicht achtlos, sondern so, dass der Wille
Gottes fehlerlos erfüllt wird. (…) Nur aus der Demut der Liebe heraus können
Menschen es wagen, Gott zu sein." Und Macht auszuüben (201 -202).
"Der wirklich
Liebende nimmt den Geliebten immer als einen Menschen mit völlig getrennter
Identität wahr." Entsprechend heißt es bei Kahlil Gibran: "Eure
Kinder sind nicht eure Kinder. (…) Sie kommen durch euch, doch nicht von euch; und sind sie
auch bei euch, so gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe
geben, doch nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken. (…) Ihr sollt
euch bestreben, ihnen gleich zu werden, doch suchet nicht, sie euch gleich zu
machen." Das "eigentliche Wachsen ist immer und unvermeidlich
einsam", entsprechend dem, was Kahlil Gibran zu Ehe sagt: "Doch
lasset Raum zwischen eurem Beieinandersein, (…) macht die Liebe nicht zu Fessel
(…). Singet und tanzet zusammen, und seid fröhlich, doch lasset jeden von euch
allein sein. (…) Gebet einander eure Herzen, doch nicht in des anderen Verwahr.
Und stehet beieinander, doch nicht zu nahe beieinander. Denn (…) Eichbaum und
Zypresse wachsen nicht im gegenseitigen Schatten" (S. 209-220).
Was macht
Psychotherapie wirksam und erfolgreich? Es "sind menschliche Anteilnahme und Kampf. Es ist die
Bereitschaft des Therapeuten, sich auszudehnen, damit der Patient wachsen kann
– Bereitschaft, unsicheren Boden zu betreten, sich selbst auf einer emotionalen
Ebene wirklich in die Beziehung einzubringen, tatsächlich mit dem Patienten und
mit sich selbst zu kämpfen. Kurz gesagt: (…) Liebe. (…) Intensive
Psychotherapie ist in vieler Hinsicht ein Prozess erneut durchlebter
Elternschaft." Die Liebesgefühle des Therapeuten entsprechen für Peck
denen guter Eltern für ein Kind. Geistig-seelische Krankheiten seien oft durch
das Fehlen der benötigten elterlichen Liebe in der Kindheit verursacht (S.
226-228). Auch Laien könnten erfolgreiche Psychotherapie praktizieren,
"solange sie wirklich liebende Menschen sind. (…) Wenn mich Patienten
gelegentlich fragen, wann sie ihre Therapie beenden können, antworte ich: 'Wenn
Sie selbst in der Lage sind, ein guter Therapeut zu sein.'"
Im Teil III geht
es um Wachstum und Religion. Spirituelles
Wachstum beginnt für Peck, "indem wir dem misstrauen, was wir bereits
glauben, indem wir aktiv das Bedrohliche und Unvertraute suchen und willentlich
die Gültigkeit dessen herausfordern, was wir zuvor gelernt hatten und was uns
teuer war. Der Weg zu Heiligkeit führt über das Infragestellen von allem" (S. 251).
"Um lebensfähig
und auf dem höchsten Stand unserer Möglichkeiten zu sein, muss unsere Religion
eine ganz persönliche sein, geschmiedet durch das Feuer unserer Fragen und
Zweifel im Schmelztiegel unserer eigenen Erfahrung der Realität." Bei
unseren komplexen Lebensbedingungen müssen wir uns in vielen Fällen auf
"Informationen aus zweiter Hand" verlassen, um zu funktionieren, wie
z. B. auf die Aussagen eines Arztes über den Zustand meiner Nieren. "Wenn
es sich jedoch" – so zitiert Peck den Theologen Alan Jones – "um
Fragen dreht wie Sinn, Zweck und Tod, dann reicht Information aus zweiter Hand
nicht aus. Ich kann nicht mit einem Glauben aus zweiter Hand an einem Gott aus
zweiter Hand überleben." In gewisser Weise sei auch die Wissenschaft eine
Religion, nämlich "eine Religion des Skeptizismus" (S. 252-253).
Patienten, die von
sich sagen, sie seien nicht religiös, sagt Peck: "Sie haben eine Religion,
sogar eine sehr tiefe. Sie verehren die Wahrheit. Sie glauben an die
Möglichkeit Ihres Wachstums und Ihrer Besserung, an die Möglichkeit
spirituellen Fortschritts. (…) Sie gehen das Risiko einer Therapie ein (…).
Ihre Spiritualität ist ein großes Stück weiter als die Ihrer Eltern, die diesen
nicht einmal den Mut gibt, die Dinge in Frage zu stellen" (S. 254). An
mehreren Fallbeispielen illustriert Peck, was "mit dem Glauben an Gott
(geschieht), wenn wir durch den Prozess der Psychotherapie wachsen".
Peck benennt
zahlreiche negative Aspekte von Religionen: "Heilige Kriege.
Inquisitionen. Verfolgung. Tieropfer. Menschenopfer. Aberglaube. Täuschung.
Dogmatismus. Ignoranz. Scheinheiligkeit. Selbstgerechtigkeit. Starrheit. Grausamkeit.
Bücherverbrennungen. Hexenverbrennungen. Hemmungen. Angst. Konformität. Pathologische
Schuldgefühle. Wahnsinn" (S. 289). Doch Dogmatismus gebe es nicht nur bei
gläubigen Menschen. Atheisten können "in Bezug auf ihren Unglauben ebenso
dogmatisch sein wie ein Gläubiger in Bezug auf seinen Glauben" Skepsis
gegenüber jeder Art von Dogmatismus ist Peck sehr wichtig. Tradierte
Vorstellungen von Gott tragen für ihn vielfach nicht mehr: "Der Gott, der vor der Skepsis steht,
mag wenig mit dem gemein haben, der nach der Skepsis kommt" (S. 290-292).
In seiner
psychotherapeutischen Arbeit machte Peck Erfahrungen des Wachstums seiner
Patienten, für die er "keine logische Erklärung hatte", die also
"wunderbar waren". So wurde er "offen für die mögliche Existenz
der Wunderbaren" und begann, "das Alltagsleben routinemäßig mit einem
Blick für das Wunderbare zu betrachten. Und je mehr ich hinsah, desto mehr fand
ich." Es ist eine Frage des Bewusstseins. Maslow nannte es
"being-cognition". Die Wahrnehmung des Wunderbaren bezieht sich nicht
nur auf außerordentliche Erscheinungen, sondern auch auf ganz gewöhnliche, denn
absolut alles kann dieses besondere Bewusstsein erwecken, wenn man ihm genügend
Aufmerksamkeit widmet. Die Wahrnehmung des Wunderbaren erfordert keinen Glauben
und keine Vermutungen. Es handelt sich nur um eine volle und konzentrierte
Aufmerksamkeit für die Gegebenheiten des Lebens, d. h. für das, was so
allgegenwärtig ist, dass man es gewöhnlich als selbstverständlich ansieht"
(S. 299-300).
"Wir alle sind
Individuen, doch wir sind auch Teile eines größeren Ganzen, vereinigt in etwas
Umfassenden und Schönen, das sich der Beschreibung entzieht. Wahrnehmung des
Wunderbaren ist die subjektive Essenz der Selbstverwirklichung, die Wurzel, aus
der die höchsten Merkmale und Erfahrungen des Menschen erwachsen." Wir
sollten "in den gewöhnlichen Alltagereignissen unseres Lebens nach
Anzeichen für das Wunderbare suchen und gleichzeitig eine wissenschaftliche
Orientierung beibehalten". Wir müssen "einen klaren Kopf
behalten", denn wir "haben es mit außersinnlichen Wahrnehmungen und
'spiritistischen' oder 'paranormalen' Phänomenen" zu tun (S. 300-301).
Der abschließende Teil IV ist überschrieben mit Gnade. "Was will Gott von uns? (…)
Gott will, das wir er (sie oder es) werden. Wir wachsen auf die Gottheit hin.
Gott ist das Ziel der Evolution. Gott ist die Quelle der evolutionären Kraft,
und Gott ist ihr Ziel. Das meinen wir, wenn wir sagen, Er sei das Alpha und das
Omega, der Anfang und das Ende." Dieser an sich ganz einfache, aber
anspruchsvolle Gedanke, der "von uns alles fordert, was wir geben können,
alles, was wir haben", legt uns eine solche Bürde auf, dass wir "in
schierer Panik" vor ihm davonlaufen. "Es ist eine Sache, an einen
netten, alten Gott zu glauben, der für uns aus seiner machtvollen Höhe sorgt,
die zu erreichen wir uns nie unterfangen können. Eine ganz andere Sache ist es,
an einen Gott zu glauben, der eben gerade will, dass wir seine Stellung, seine
Macht, seine Weisheit, seine Identität erreichen" (S. 348).
Ein solcher Glaube
würde "uns die Verpflichtung auferlegen, das Mögliche zu erreichen. Doch
die Verpflichtung wollen wir nicht. So hart wollen wir nicht arbeiten. Wir
wollen Gottes Verantwortung nicht. (…) Wenn Gott im Himmel ist und wir hier
unten und beides nie zusammenkommen kann, dann können wir ihm alle Verantwortung
für die Evolution und die Lenkung des Universums überlassen. Wir können das
Wenige tun, das uns möglich ist, um uns ein angenehmes Alter zu sichern,
hoffentlich mit gesunden, glücklichen und dankbaren Kindern und Enkeln, doch
darüber hinaus brauchen wir uns nicht zu plagen." Doch: "Gottes
Verantwortung muss unsere eigene sein." Für unser spirituelles Wachstum
gibt es letztlich "nur ein Hindernis, und das ist die Trägheit. (…)
Trägheit ist das Gegenteil von Liebe." Trägheit ist "die Kraft der
Entropie", die sich "in unser aller Leben manifestiert". Peck
sieht die Trägheit, die er als die eigentliche Erbsünde versteht, als seinen
"Hauptfeind" an. "Eine der wichtigsten Formen, die die Trägheit
aufweist, ist die Furcht" (S. 348-354).
Für Peck ist das Böse real. "Es gibt wirklich Menschen und Institutionen von
Menschen, die auf das Gute mit Hass reagieren und es zerstören würden, wenn sie
dazu die Macht hätten. (…). Böse Menschen hassen das Licht, weil es ihnen sich
selbst offenbart. Sie hassen das Gute, weil es ihre Schlechtigkeit
offenbart; sie hassen die Liebe, weil
sie ihnen ihre Trägheit offenbart." Das Böse ist "die auf die Spitze,
ins Extrem getriebene Faulheit oder Trägheit" (…) Die gewöhnliche Trägheit
ist ein passiver Mangel an Liebe." Peck definiert "das Böse als
Ausübung von Macht, also den Versuch, andere mit offenem oder verdecktem Zwang
dem eigenen Willen zu unterwerfen, um die Ausdehnung des eigenen Selbst zur
Förderung spirituellen Wachstums zu vermeiden. Gewöhnliche Trägheit ist
Nicht-Liebe. Das Böse ist Anti-Liebe." Das Böse kann die Seele von
Menschen zerstören. Glücklicherweise hätten die meisten Menschen einen
"fast instinktiven Abscheu vor der Scheußlichkeit des Bösen" (S.
359-361).
"Die
Entwicklung des Bewusstseins ist die Entwicklung bewussten Wissens gemeinsam
mit unserem Unbewussten, das dieses Wissen bereits besitzt. Es handelt sich um
die Synchronisation von Bewusstsein und Unbewusstem." Um zu erklären,
"wieso das Unbewusste all das Wissen besitzt, das wir noch nicht bewusst
erworben haben", postuliert Peck einen "Gott, der eng mit uns
verbunden ist – so eng, dass er ein Teil von uns ist. Der nächstgelegene Ort,
an dem wir nach der Gnade suchen können – ist in uns selbst." Die
Auffassung, "unser Unbewusstes sei Gott" gleicht der "christlichen
Konzeption des Heiligen Geistes (…), der
in uns allen wohnt". Für das Unbewusste, v.a. für das kollektive
Unbewusste, verwendete C. G. Jung die Analogie eines "Rhizoms". Für
Peck nährt dieses "unglaublich große, verborgene Wurzelsystem" die "winzige
Pflanze des Bewusstseins (…), die daraus hervorsprießt". Das
"eigentliche Leben (…) steckt im Rhizom" (S. 362-363).
Unser Unbewusstes
weist uns darauf hin, wenn wir den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren, durch "schlechte
Träume, Angstanfälle, Depressionen und andere Symptome". Diese "unerwünschten
Symptome geistig-seelischer Krankheit sind Manifestationen der Gnade. Sie sind
die Produkte einer mächtigen Kraft, die ihren Ursprung außerhalb unseres
Bewusstseins hat und die unser spirituelles Wachstum fördert." Sie zeigen uns,
wenn wir "den falschen Weg eingeschlagen haben". Die Symptome
verhelfen zur "Selbstkorrektur und zum Wachstum (…). Die Symptome und die
Krankheit sind nicht das Gleiche. Die Krankheit besteht schon lange vor den
Symptomen. Die Symptome sind nicht die Krankheit, sondern der Beginn ihrer
Heilung." Sie sind ein "Phänomen der Gnade", eine "Gabe
Gottes", eine "Botschaft des Unbewussten, um eine Selbstprüfung und
Wiederherstellung einzuleiten". Die meisten Menschen weisen diese Gnade,
diese Gabe zurück. Sie machen für ihre Symptome "oft auf subtile Art die
Umwelt verantwortlich – lieblose Angehörige, falsche Freunde, geldgierige
Firmen, eine kranke Gesellschaft oder sogar das Schicksal" (S. 373-378).
Für Peck ist der
altgriechische Mythos des Orest und der Furien eine Metapher für den
verantwortlichen Menschen. Orest tötet seine Mutter, um – wie es seine Pflicht
war – den von ihr verübten Mord an seinem Vater zu rächen. So erfüllt sich ein
Fluch, den die Götter über die Nachkommen des Atreus ausgesprochen hatten,
nachdem dieser lästerlicherweise versucht hatte, mächtiger zu sein als die
Götter. Der Muttermord war aber die größte Sünde, die ein antiker Grieche
begehen konnte. Für diese tragische Sünde bestrafen die Götter den Orest damit,
dass ihn die Furien mit erbarmungslosen Vorwürfen verfolgten. Nach vielen
Jahren des Büßens halten die Götter erneut Gericht über Orest. Apollo
verteidigt Orest damit, dass dieser ja keine andere Wahl hatte, als seine
Mutter zu töten. Orest aber widersprach: "Ich war es, nicht Apollo, der
meine Mutter ermordet hat." Die Götter sind von dieser absoluten
Verantwortungsübernahme beeindruckt und befreien ihn und alle anderen
Nachkommen des Artreus von dem Fluch. Sie verwandeln die Furien in Eumeniden, liebevolle
Geister, die Orest mit ihrem weisen Rat von nun an beistehen (S. 379-380).
"Wenn man die
Nähe zu Gott erlebt, erlebt man auch die Verpflichtung, Gott zu sein,
Vermittler seiner Macht und Liebe zu sein. Der Ruf zur Gnade ist ein Ruf zu
einem Leben anstrengender Fürsorge, des Dienens und aller dazu erforderlichen
Opfer."Es ist "eine Sache unserer Wahl, ob wir von der Gnade gesegnet
werden oder nicht". Die Gnade müssen wir uns verdienen. Dennoch:
"Nicht wir kommen zur Gnade, sondern die Gnade kommt zu uns. Wir können
uns noch so um sie bemühen, sie kann uns doch entgehen." Jene, "die
einen Zustand der Gnade erreicht haben, denen 'dieses neue Leben aus dem
Himmel' zuteil geworden ist", staunen geläufig "über ihren Zustand.
Sie haben nicht das Gefühl, ihn sich verdient zu haben. (…) sie schreiben ihre
Natur nicht ihrem eigenen Willen zu; vielmehr haben sie deutlich das Gefühl,
dass die Güte ihrer Natur von Händen geschaffen wurde, die weiser und
geschickter sind als ihre eigenen. Diejenigen, die der Gnade am nächsten sind,
sind sich am meisten der geheimnisvollen Natur der Gabe bewusst, die sie
erhalten haben" (S. 389-396).
Das Studium der
Theologie ist eine relativ ungeeignete und nutzlose Vorbereitung auf das Kommen
der Gnade. Gut vorbereitet sind wir, wenn "wir uns zu vollkommen
disziplinierten und rundum liebenden Individuen erziehen". "Buddha
fand die Erleuchtung erst, als er aufhörte, danach zu suchen – als er sie auf
sich zukommen ließ." Doch hat unzweifelhaft zu seiner Erleuchtung
beigetragen, dass "er mindestens sechzehn Jahre seines Lebens darauf
verwendet hatte, sie zu suchen, sechzehn Jahre der Vorbereitung! Er musste sie
also sowohl suchen als auch nicht suchen" (S. 397).
Serendipität[2] definiert Peck neu "als erlernte Fähigkeit, die Gaben
der Gnade zu erkennen und zu nutzen, die uns aus dem Reich jenseits unseres
bewussten Willens geschenkt werden. Mit dieser Fähigkeit werden wir
feststellen, dass unsere Reise spirituellen Wachstums geleitet wird von der
unsichtbaren Hand und der unvorstellbaren Weisheit Gottes, und zwar mit
unendlich viel größerer Genauigkeit als der, zu der unser Bewusstsein ohne
Hilfe fähig ist." Diese Auffassung sei schon von Buddha, Christus, Lao-tse
und anderen Propheten vorgetragen worden (S. 400).
Viele passive,
abhängige, furchtsame und träge Menschen wollen laut Peck "jeden
Zentimeter des Weges gezeigt" bekommen und bewiesen haben, "dass
jeder Schritt ungefährlich und der Mühe wert ist. Das ist nicht möglich. Denn
die Reise des spirituellen Wachstums erfordert Mut und Initiative und
Unabhängigkeit im Denken und Handeln. (…) Den Weg muss man allein zurücklegen.
Kein Lehrer kann uns zum Ziel bringen. Es gibt keine im voraus festgelegten
Formeln. Rituale sind nur Lernhilfen, nicht das Lernen selbst. (…) Es gibt
keine Worte und keine Lehre, die den spirituellen Reisenden der Notwendigkeit
entheben, seine eigene Methode zu suchen, mit Anstrengung und Angst seinen
eigenen Weg durch die einzigartigen Umstände seines eigenen Lebens zur
Identifikation seines individuellen Selbst mit Gott zu finden." Sobald wir
Gott, die mächtige Kraft "jenseits unserer selbst und unseres bewussten
Willens", die unser Wachstum fördert, wahrnehmen, fühlen wir uns nicht
mehr bedeutungslos. Wir erkennen, dass unser spirituelles Wachstum "von
größter Bedeutung für etwas Größeres als uns selbst ist. (…) Diese Zeit und
dieser Raum existieren, damit wir sie auf unserer Reise durchschreiten. (…) Durch
die Gnade wissen wir, dass wir willkommen sind" (S. 400-403).
1998 sprach Peck mit
Theologie- und Psychologie-Studenten am Fuller Theological Seminary über sein
Buch "Der wunderbare Weg". Für ihn war seine radikalste Aussage im Buch,
dass die Ursache psychischer Erkrankungen eher im Bewusstsein als im
Unbewussten liegen. Das bewusste Denken wolle bestimmte Wahrheiten nicht sehen
und verdränge sie ins Unbewusste. Alle psychologische Störungen seien daher letztendlich
Störungen des Denkens.
Kritische Würdigung
Auf mich als Arzt
und Psychotherapeut wirken die im Buch dargestellten therapeutischen Ansätze
und Fallbeispiele überwiegend überzeugend. Vor allem gefällt mir, dass Peck im
anteilnehmenden und den Patienten von innen heraus verstehen wollenden Zuhören
eine zentrale therapeutische Aufgabe sieht. Auch therapierte Peck seine
Patienten offenbar mit großem persönlichen
Engagement. Das deckt sich mit meiner Erfahrung, dass viele Patienten die
Führung durch einen aktiven Therapeuten benötigen und von einer allzu großen
Distanz und Passivität des Therapeuten irritiert werden. Zugleich muss der
Therapeut ausreichend abstinent bleiben, also dem Patienten möglichst nichts
Eigenes überstülpen. Pecks Begriff des Ausklammerns strebt genau das an:
Offenheit gegenüber Neuem und Unbekanntem, zeitweiliges Beiseitestellen des
eigenen Selbst, v.a. der eigenen Vorurteile und Wünsche, einen inneren Raum
schaffen für das, was vom Patienten kommt, das Fremde willkommen heißen.
Für Peck ist
Psychotherapie v.a. eine Unterstützung des Patienten in seinem spirituellen
Wachstum. Dazu soll der Patient erst einmal alle religiösen oder antireligiösen
Einstelllungen, die ihn geprägt haben, in Frage stellen. Anstelle religiöser
Erfahrung aus zweiter Hand soll der Patient seine eigenen Erfahrungen machen
und seine eigene Religion finden. Überhaupt scheint Peck alles Dogmatische
suspekt zu sein. Er selbst bekennt sich zum christlichen Glauben. Aber kirchliche
Dogmen wie die Trinitätslehre spielen für ihn keine Rolle. Anderen religiösen
Lehren und auch atheistischen und agnostischen Positionen gegenüber ist er sehr
tolerant. Allerdings versucht er, seine Patienten und Leser zur Wahrnehmung des
Wunderbaren zu ermutigen und sie für die Erfahrung des Göttlichen zu öffnen.
Etwas einseitig
wirkt Pecks Definition der Liebe als Willensentscheidung für spirituelles
Wachstum, für Verpflichtung und beständige Anstrengung. Befremdlich wirkt auf
mich ein Satz wie "Die Liebe zwingt uns, Gott zu spielen". Peck
scheint an sich selbst, an seine Patienten und an den Leser fast
übermenschliche Anforderungen zu stellen. Etwas befremdlich und antiquiert
wirkt auf mich auch Pecks Begriff der Gnade, die wir zu verspielen drohen, wenn
wir der "Erbsünde" der Trägheit verfallen. Trotz dieser
Einschränkungen kann ich den "Wunderbaren Weg" als lesenswertes Buch
bezeichnen.
Der wunderbare Weg von Scott Peck |
[2] Serendipität bezeichnet eigentlich das
Phänomen, zu einer Erkenntnis zu gelangen oder etwas zu finden, nach dem man
explizit nicht gesucht oder geforscht hat (wie z. B. die Entdeckung Amerikas
durch Columbus).